Männerwirtschaft

Wie Meerschweinchen-Böcke friedlich zusammen leben

Leider besteht das hartnäckige Gerücht, man könne Meerschweinchenböcke nicht zusammenhalten. Es werden auch immer noch unverträgliche Böcke kastriert, damit sie verträglicher werden. Fakt ist aber, das Sozialverhalten von Meerschweinchenböcken hat nur sehr wenig mit ihrer sexuellen Potenz zu tun. Ob Böcke sich verstehen und friedlich zusammen leben hängt von der Haltung, der Jugenderziehung (sie sollten die ersten 4 Wochen in gemischtgeschlechtlichen Gruppen = mehrere Weibchen und einem Kastraten aufwachsen) und ihrem Charakter ab. Wenn zwei Böcke sich unkastriert nicht verstehen, wird die Kastration nichts daran ändern!

Bockgruppen können sehr harmonisch sein, wenn man sich an bestimmte Regeln hält (Weibchen untereinander sind oftmals wesentlich zickiger).

 

1.        2 Böcke brauchen viel Platz, um sich auch mal aus dem Weg zu gehen. Generell kann man sagen, dass es sinnvoll ist, pro Bock eine Grundfläche von 1 m² zur Verfügung zu stellen. Das Territorium sollte gleichbleiben (nicht ständig den Käfig wechseln); bei jedem Wechsel muss die Rangordnung neu ausgefochten werden.

2.         Der Käfig sollte Beschäftigung bieten, nicht langweilig sein (Äste, Pappkartons, Röhren, Hängematte, viel Heu).

3.         Die Tiere brauchen möglichst täglich Auslauf

4.         Häuser sind häufig ein Grund für Streitigkeiten bei Böckchen (Revierbildung, nach dem Motto das Haus gehört mir). Darum sollten an Stelle von Häusern lieber großzügige Unterstände oder Weidenbrücken verwendet werden, so dass die Tiere sich sicher fühlen, aber sie gleichzeitig auch genug Platz und Ausweichmöglichkeiten haben.

5.         2 Jungböcke die zusammen aufgewachsen sind verstehen sich oft ein Leben lang. Allerdings kann es bei so einer Gemeinschaft in der Pubertät mit ca. 2-3 Monaten zu Rangkämpfen kommen, mit 6 und mit evtl. 12 Monaten noch mal. Meist legen sich die Probleme wieder, manchmal kommt es zum totalen Zerwürfnis. Wenn die Tiere sich mal fetzen nicht sofort trennen (Knattern, mit den Zähnen klappern, Jagen, Schnappen und Zwicken, Besteigen gehört zur Abteilung Werben und Imponieren und ist kein Streit), kleine Bisswunden können passieren, nur wenn die Tiere sich als Knäuel durch die Gegend wälzen, sollte man eingreifen

6.         Sinnvoll ist es einen Altbock mit einem Jungbock zu vergesellschaften. Der junge Bock darf nicht älter als 8 Wochen sein, ideal ist ein Alter zwischen 4 - 8 Wochen. Der junge Bock ordnet sich meist dem älteren automatisch unter.

7.         Mehrere Futterplätze sollten vorhanden sein.

8.         Auf gar keinen Fall sollte man ein Weibchen dazu setzen – auch nicht für „mal eben kurz“!

9.        In eine bestehende, gut funktionierende Böckchengruppen, sollte man nur nach reichlicher Überlegung ein weiteres Tier hinzusetzen. Es könnte zum kompletten Bruch kommen!

10.             Natürlich sollten die allgemeinen Vergesellschaftungsregeln eingehalten werden.

 

Bockgruppen gelten allgemein als weniger zickig und friedlicher. Wenn man sich an die Regeln hält, leben diese Tiere auch unkastriert sehr friedlich zusammen und nur selten kommt es zu Problemen, die es allerdings bei der Weibchenhaltung auch durchaus gibt. Sicher gibt es auch sehr dominante Böcke die sich nicht unterordnen und nicht in Bockgruppen einfügen lassen. Sollten 2 Vergesellschaftungsversuche mit Böcken fehlgeschlagen sein ist es doch ratsam, den unverträglichen Bock kastrieren zu lassen und ihn nach Absitzen der Kastrationsfrist mit einem Weibchen zu vergesellschaften.

Wir raten aber, trotz gut funktionierender Böckchengruppen, zur Kastration beider Böckchen. Man hat dann im Alter nicht das Problem eines möglicherweise 6 Jahre alten verwitweten Bockes, der nur mit einem Jungbock (Frühkastraten) zu vergesellschaften wäre. Oft sind Böcke in diesem Alter zu alt für eine Kastration. Zudem fühlen sie sich von Jungspunden möglicher Weise stark genervt. Wurde der Bock aber schon in jüngeren Jahren kastriert, kann er jetzt problemlos mit einem gleichaltrigen Weibchen vergesellschaftet werden.

Männliche Meerschweinchen verkleiden sich gerne als "Pseudoweibchen"

Professor Norbert Sachser von der Universität Münster ist so fasziniert vom Sozialleben der Hausmeerschweinchen, dass er diese Tiere seit zwanzig Jahren studiert. Besonders die männlichen Nager, "Böcke" genannt, erregten die Aufmerksamkeit des Verhaltensbiologen: Sie sind in der Lage, auf relativ engem Raum in Frieden zusammenzuleben. Sachser macht für diese bei Nagetieren außergewöhnliche Verträglichkeit, die beim Wildmeerschweinchen nicht anzutreffen ist, drei Wesensmerkmale des Hausmeerschweinchens verantwortlich:

Erstens eine große Toleranz gegenüber Artgenossen, die wahrscheinlich im Laufe der „Haustierwerdung“ erworben wurde, zweitens die Fähigkeit, untereinander stabile soziale Bindungen aufzubauen und drittens das Vermögen, vielschichtige, individuelle Dominanzbeziehungen innerhalb der Gruppe herzustellen und zu respektieren.

Besonders für die soziale Entwicklung männlicher Jungtiere ist es ausschlaggebend, wie und mit wem sie aufgewachsen sind. Denn das typische, friedfertige Verhalten der Meerschweinchen ist nicht angeboren, es muss erlernt werden.

Nur in Gruppen, in denen neben den Weibchen auch erwachsene, dominante Böcke leben, wird ein junges Männchen zum verträglichen Tier, denn es muss sich von klein auf unterordnen und Strategien entwickeln, Aggressionen aus dem Weg zu gehen. Böcke, die ihre Kindheit nur mit Weibchen verbracht haben, sind später nicht mehr in der Lage, sich in einer gemischt geschlechtlichen oder reinen Männergruppe zu integrieren. Ständig fordern sie andere Männchen heraus. Sachser stellte bei diesen "Unsozialen" Stresshormonkonzentrationen fest, die bis zu 400 Prozent über dem Normalwert lagen.

Auch das Leben in reinen Bockgruppen ist bemerkenswert

Sachser stellte fest, dass bei einer Gruppengröße von nur zwei Tieren das harmonischste Miteinander herrschte. Aber auch größere Männchengruppen leben weitestgehend in Frieden. Nur dürfen so gehaltene Meerschweinchen niemals Kontakt zu einem Weibchen bekommen, sonst brechen sofort erbitterte Kämpfe unter den vormals befreundeten Herren aus. Zudem bemerkte Sachser, dass es immer wieder Meerschweinmänner gab, die sich genau wie Weibchen benahmen. Die so genannten "Pseudoweibchen" genossen ein hohes Ansehen in ihrer Gruppe, wurden von allen umworben und waren nie in aggressive Handlungen verwickelt. Durch diese Alternativstrategie zum männchentypischen Verhalten sicherten sie sich ihr Wohlergehen in reiner Männergesellschaft. Setzte Sachser aber ein echtes Weibchen in die Gruppe, zeigten die Pseudoweibchen sofort ihr wahres Gesicht: Unverzüglich umwarben sie das Weibchen und verteidigten es so heftig, dass sie sich als einzige fortpflanzen konnten. Spätestens nach diesen Forschungsergebnissen kann niemand mehr sagen, Meerschweinchen seien langweilige oder gar dumme Tiere!